
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Konflikte erzeugen Spannungen – und wo Spannung ist, suchen Menschen bekanntlich nach Kontrolle. Ein weit verbreitetes, aber hochriskantes Mittel hierbei sind Drohungen.
Ob bewusst oder subtil formuliert, direkt oder versteckt: Drohungen sollen Macht demonstrieren, Grenzen setzen oder gewünschtes Verhalten erzwingen.
Doch in Wirklichkeit entfalten sie häufig eine paradoxe Wirkung – sie eskalieren statt zu lösen oder erreichen genau das Gegenteil von dem, was angedroht wurde!
Das Paradoxon der Drohung beschreibt damit den Widerspruch, dass Drohungen oft genau das Gegenteil dessen bewirken, was sie bezwecken sollen. Sie sollen zum Einlenken bewegen, führen aber häufig zu Widerstand, Trotz oder Abbruch der Kommunikation. Statt Konflikte zu klären, verhärten sie Fronten, zerstören Vertrauen und machen eine Lösung schwieriger.
Hier ein kleines Beispiel:
Ein Vorgesetzter sagt zu einem Mitarbeiter: „Wenn Sie weiter so passiv arbeiten, wird das Konsequenzen haben.“
Die beabsichtigte Wirkung: Der Mitarbeiter soll sich mehr engagieren.
Die tatsächliche Wirkung: Der Mitarbeiter fühlt sich angegriffen, zieht sich zurück oder geht in die innere Kündigung.
Doch warum sind Drohungen in Konflikten meist kontraproduktiv?
Nun, sie erzeugen meist mehr Gegendruck statt Einsicht.
Drohungen zielen auf Gehorsam – nicht auf Einsicht ab. Doch wer sich gezwungen fühlt, verliert seine Autonomie. Die natürliche Reaktion: Widerstand oder Trotz. Selbst wenn kurzfristig „Folge geleistet“ wird, bleibt langfristig ein beschädigtes Verhältnis.
Zudem brauchen Konfliktlösungen stabile Beziehungen. Drohungen suggerieren jedoch: „Ich traue dir keine Kooperation (mehr) zu – deshalb setze ich Druckmittel ein.“ Das sendet ein starkes Misstrauenssignal – und vergiftet den Raum für konstruktive Verständigung.
Dabei entstehen nachhaltige Lösungen aus Einsicht, nicht aus Zwang. Wer droht, nimmt dem Gegenüber die Chance, sich freiwillig und konstruktiv einzubringen.
Auch führen Drohungen zu einer Fixierung auf Positionen. Die Angst vor Gesichtsverlust, Machtverlust oder Bestrafung blockiert kreative Lösungen. Kommunikation wird so zum Minenfeld.
In der Mediation arbeiten wir mit Menschen, die oft tief in Eskalationsspiralen verstrickt sind. Drohungen – ob offen oder subtil – gehören fast immer dazu. Wer in solchen Situationen professionell begleiten will, sollte zunächst einmal das Paradoxon der Drohung kennen und verstehen, Drohsignale frühzeitig erkennen und Raum für Deeskalation und Eigenverantwortung schaffen.
Mediierende Personen können dabei durch gezieltes Spiegeln, Reframing oder zirkuläre Fragen verdeutlichen, welche Wirkung die Drohung beim Gegenüber ausgelöst hat und welche Alternativen es gibt, um Bedürfnisse anders zu formulieren.
Anstelle von Drohungen sollten wir also in Konflikten auf klare, aber respektvolle Kommunikation setzen.
Statt also: „Wenn du nicht… dann…“, besser ein: „Was ich brauche, ist…“
oder
statt: „Das wird Konsequenzen haben“ besser „Ich wünsche mir eine Lösung, bei der wir beide gewinnen.“
So bleibt die Beziehung intakt – und Handlungsspielräume offen. Die Verantwortung wird nicht erzwungen, sondern angeboten (was natürlich auch eine Ablehnung zur Folge haben kann).
Drohungen scheinen zwar auf den ersten Blick ein wirksames Werkzeug zu sein, um Verhalten zu steuern, Grenzen zu setzen oder Kontrolle auszuüben. Doch in Wahrheit bergen sie eine tiefe Widersprüchlichkeit: Je glaubwürdiger eine Drohung ist, desto weniger will man sie wahrmachen – und je öfter sie ausgesprochen wird, desto weniger wirkt sie. Ein Dilemma, das besonders in Konfliktsituationen eskalierend wirken kann. Wenn ich zum Beispiel sage: „Wenn Sie das Projekt nicht übernehmen, dann kündige ich“, dann möchte ich im Grunde nicht kündigen – sondern erreichen, dass die andere Person ihr Verhalten ändert. Sobald die Drohung jedoch glaubhaft wird (weil ich sie tatsächlich umsetzen würde), verliere ich Einfluss – denn dann ist mein Handlungsspielraum begrenzt.
Eine Drohung wird damit also zu einem Werkzeug ohne Rückfahrmöglichkeit, das mehr zerstört als bewegt.
Hierzu noch ein Beziehungsbeispiel: „Wenn du das nochmal machst, gehe ich.“ – Die Person bleibt, die Beziehung wird instabil.
Anschließend noch ein Berufsbeispiel: „Wenn das nicht umgesetzt wird, gehe ich zur Geschäftsleitung.“ – Die Drohung erzeugt Misstrauen, ohne das eigentliche Problem zu lösen.
Und noch ein letztes Beispiel aus der Politik: „Wenn ihr das Gesetz nicht ändert, treten wir aus dem Bündnis aus.“ – Einmal ausgesprochen, wird es schwer, ohne Gesichtsverlust wieder zurückzurudern.
Das Paradoxon der Drohung zeigt eindrücklich, dass Macht nicht gleich Wirkung bedeutet. Wer droht, setzt kurzfristig Druck ein – und verliert langfristig Vertrauen, Dialogfähigkeit und Handlungsfreiheit.
Wirklich wirksam sind nicht Drohungen, sondern klare und respektvolle Kommunikation, transparente Bedürfnisse und der Wille zur Lösung. Wer diesen Weg wählt, schafft keine Angst – sondern echte Veränderung.